Vertrauen ist Sicherheit
Die Gefahr liegt darin, dass wir sehen können, wie [Orwells] Technologien aus [dem Roman] 1984 jetzt einfallslos und altmodisch wirken. [..] 1984 ist ein wichtiges Buch, aber wir sollten uns nicht an die Grenzen der Vorstellungskraft des Autors binden. Die Zeit hat gezeigt, dass die Welt sehr viel unvorhersehbarer und gefährlicher ist als [die Welt im Roman 1984]“
–Edward Snowden (Quelle: theguardian.com, Übers. d. Autorin)
Es ist erstaunlich, mit welchen Mitteln die Bundesregierung versucht, die Deutungshoheit über das Ausmaß der NSA-Affäre zu erlangen. Im ZDF-Sommerinterview stellte Frau Merkel eine These auf, die auf beklemmende Art und Weise an die propagandistischen Parolen aus George Orwells Roman 1984 erinnert: Vertrauen ist Sicherheit.
In 1984 kehren die Machthaber im totalitären Überwachungsstaat „Ozeanien“ mit den Parolen „Krieg ist Frieden“, „Freiheit ist Sklaverei“ und „Unwissenheit ist Stärke“ die Bedeutung von Begriffen um. So soll Kritik an der Politik sprachlich unmöglich gemacht werden. Wer für Frieden ist, muss automatisch auch für Krieg sein. Ein politischer Widerstand wird zerstört, bevor er überhaupt entstehen kann.
Und nun Frau Merkel: Vertrauen ist Sicherheit. Laut Wikipedia (Stand: 21.07.2014) ist Vertrauen „ein Phänomen, das in unsicheren Situationen oder bei risikohaftem Ausgang einer Handlung auftritt: Wer sich einer Sache sicher sein kann, muss nicht vertrauen.“ Vertrauen bedeutet eben nicht Sicherheit, sondern deren Abwesenheit. Zugegeben, der Gegensatz zwischen „Vertrauen“ und „Sicherheit“ ist nicht so offensichtlich, wie zwischen „Krieg“ und „Frieden“. Aber genau darin liegt die Gefahr dieser Methode: Irgendwann fällt der Bedeutungsunterschied gar nicht mehr auf. Die Reporterin, von der Frau Merkel interviewt wurde, hakte jedenfalls nicht nach.
NSA-Affäre: Nur eine Meinungsverschiedenheit unter Freunden
Angela Merkel betont in dem Interview, nicht zum ersten Mal, dass die Amerikaner unsere Freunde wären. Freunde, so der Tenor, sollten einander Vertrauen. Würden sich die US-Geheimdienste nunmehr „auf das Wesentliche“ konzentrieren, wäre dieses Vertrauen wiederhergestellt. Deutschland profitiere von dem Vertrauen, „was Terrorismusbekämpfung und andere Dinge anbelangt“. Vertrauen „bedeutet [für Merkel] auch Sicherheit“.
Frau Merkel spielt so die Bedeutung der NSA-Affäre systematisch herunter. Der größte Eingriff in unsere persönlichen Freiheiten seit Ende des Kalten Krieges wird von unserer Kanzlerin zu einer lapidaren Meinungsverschiedenheit zwischen befreundeten Nationen verharmlost. Ihr einziger Vorschlag zur politischen Lösung des Konflikts ist, durch „beharrliche Argumentation“ den Standpunkt der Deutschen gegenüber den Amerikanern zu vertreten. Sie „[hofft], dass sich dadurch etwas ändert“. Und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Obwohl die Presse uns seit über einem Jahr kontinuierlich mit neuen Berichten über die Spionagetätigkeiten der USA versorgt; obwohl der NSA-Untersuchungsausschuss nun vor lauter Verzweiflung ernsthaft über den Verzicht auf elektronische Hilfsmittel nachdenkt, bleibt die Rebellion der Bevölkerung gegen diese unfassbaren Zustände aus. Die Deutschen schwanken zwischen Desillusionierung („Wir können uns sowieso nicht wehren“) und Desinteresse („Ich habe doch nichts zu verbergen“). Das ist auch eine Folge der Merkelschen Kommunikationsstrategie. Die Regierung würgt mit ihrer sprachlichen Verharmlosung eine offene Debatte über die politische Lösung des Konflikts ab.
Ratlosigkeit oder Taktik?
Nun könnten wir annehmen, dass die deutsche Regierung die NSA-Affäre deswegen verharmlost, weil sie selbst ratlos ist, welche politischen Maßnahmen sie ergreifen könnte und sollte. Das wäre die gutwillige Interpretation. Es gibt aber noch eine andere.
Die Regierung schweigt beharrlich zur Frage, welche Rolle die deutschen Geheimdienste in der Spionageaffäre spielen. Zwar konstatierte Merkel im ZDF-Sommerinterview, dass in Deutschland „grundsätzlich andere Vorstellungen“ über die Arbeit von Geheimdiensten vorherrschten als in den USA. Denkt man dabei jedoch an die vor kurzem veröffentlichten Pläne des BND, seine Spionagetätigkeiten auf die Live-Überwachung von sozialen Netzwerken auszuweiten, erscheint diese Aussage mehr als zynisch. Eine erste Aufstockung der finanziellen Mittel des BND wurde bereits bewilligt.
Die Fixierung der Regierung Merkel auf eine engere Zusammenarbeit der Geheimdienste spricht vielmehr dafür, dass die millionenfache Erhebung und Verarbeitung der Daten unbescholtener Bürger nicht das Problem ist, das die Regierung zu lösen versucht. Es ist schließlich bekannt, dass die NSA auch die Daten US-amerikanischer Staatsbürger ohne gerichtliche Beschlüsse erhebt. Ebenso wenig sind die Bürger Großbritanniens, einer der engsten Partner der USA und Teil der Five-Eyes-Allianz, vor Überwachung geschützt. Selbst ein No-Spy-Abkommen sorgt letztlich nur dafür, dass die Regierungen vor Spionage sicher sind- und die jeweiligen Geheimdienste enger zusammenarbeiten. Das Ausspähen der Bürger wird durch diese Zusammenarbeit keineswegs unterbunden.
Es ist auch kein Geheimnis, dass CDU und CSU für die Vorratsdatenspeicherung sind. Das beredte Schweigen der deutschen Regierung zu dem in Rekordzeit beschlossenen Notstandsgesetz DRIP in Großbritannien, könnte ein Hinweis darauf sein, wo die Regierung Merkel eigentlich hin will. DRIP legitimiert in Großbritannien nicht nur die Vorratsdatenspeicherung (trotz eines Urteils vom EuGH, das die geltende Regelung für rechtswidrig erklärte), es gesteht der britischen Regierung auch deutlich mehr Überwachungsrechte im Ausland zu. Im Eilverfahren passierte das Gesetz das Parlament, kritische Stimmen wurden nicht angehört.
Überwachung führt zu Unsicherheit
Die jüngsten Ereignisse in der Ukraine könnten Merkel weitere Argumente für ihre „Vertrauen ist Sicherheit“-These liefern: Der tragische Absturz einer Passagiermaschine von Malaysia Airlines über der Ukraine wirft drängende Fragen auf. Nun gibt es erste Hinweise darauf, dass die Maschine abgeschossen wurde. Laut Erkenntnissen der amerikanischen Geheimdienste wurde eine Boden-Luft-Rakete auf die Maschine abgefeuert.
Wir können wohl davon ausgehen, dass die (hoffentlich erfolgreiche) Aufklärung dieses tragischen Falls zur Legitimation der Überwachungsmaßnahmen missbraucht werden wird. Dabei zeigt er eines ganz klar: Auch eine beinahe flächendeckende Überwachung, bietet keine Sicherheit vor terroristischen Anschlägen. Die amerikanischen Geheimdienste konnten den Flugzeugabsturz nicht vorhersehen, geschweige denn verhindern.
Die traurige Wahrheit ist, dass wir in einer Welt leben, in der absolute Sicherheit nicht gewährleistet werden kann. Kein staatliches Überwachungssystem kann diese herstellen- Terroristen und Kriminelle werden immer Wege finden, der Überwachung zu entgehen. Es liefert den Regierungen allerdings ein Machtinstrument, dass dem eigentlichen Souverän, dem Volk, weder zur Verfügung steht, noch durch ihn kontrolliert werden kann. Selbstzensur der Bürger und der Presseorgane sind die Folge, denn Überwachung führt zu Angst vor Willkür und damit zu mehr Unsicherheit.
5 Maßnahmen für den Bürgerrechtsschutz
Bisher lassen Merkel und Co. nicht einmal Ansätze für Maßnahmen gegen die flächendeckende und anlasslose Überwachung von Millionen deutschen Staatsbürgern erkennen. Wir dürfen uns nicht länger gefallen lassen, dass die Bundesregierung sich weigert, Verantwortung für den Schutz der Bürger zu übernehmen.
Die FDP schlägt 5 Maßnahmen für besseren Daten- und Bürgerrechtsschutz in Deutschland vor:
- Datensicherheit zunächst in Deutschland selbst gewährleisten,
- Die Verhandlungen um ein transatlantisches Freihandelsabkommen an ein transatlantisches Datenschutzabkommen knüpfen,
- Edward Snowden in Deutschland vernehmen,
- Abschluss eines No-Spy-Abkommens innerhalb der EU,
- Errichtung einer europäischen Infrastruktur für Datensicherheit.
Diese Maßnahmen müssen wir offensiv von der Regierung einfordern. Bevor es zu spät ist und der Überwachungsstaat auch in Deutschland rechtlich legitimiert wird.
Liebe Frau Hüttl, was ist mit den Zusatzvereinbarungen zum NATO-Truppenstatut und dem G10-Gesetz, die deutsche Behörden und Unternehmen de facto vom Post- und Fernmeldegeheimnis entbinden, um ausländischen Behörden Informationen zuzuleiten? Führt der Fortbestand dieser Regelungen Ihre Forderungen nicht ad absurdum?
Lieber Herr Winter,
ich bin kein Jurist, aber nach meiner Auffassung ist die Auslegung, dass die Zusatzvereinbarungen zum NATO-Truppenstatut und dem G10-Gesetz die Spionage der NSA in Deutschland de facto legalisieren, keinesfalls unumstritten. Dazu verweise ich allerdings auf die Analyse eines Fachmanns: http://www.internet-law.de/2013/10/darf-die-nsa-in-deutschland-die-telekommunikation-ueberwachen.html
„Damit ist natürlich noch nichts darüber ausgesagt, ob frühere Bundesregierungen nicht von einer entsprechenden Tätigkeit ausländischer Geheimdienste Kenntnis hatten und dies geduldet haben. Mit einer derartigen Duldung hätte die Bundesregierung sich allerdings ihrerseits rechtswidrig verhalten. Legal hören amerikanische Dienste in Deutschland jedenfalls nicht ab.“
Insofern scheint mir kein Widerspruch zwischen den Forderungen der FDP und den von Ihnen erwähnten Vereinbarungen zu bestehen. Es ist nun die Aufgabe des NSA-Untersuchungsausschusses herauszufinden, in welchem Ausmaß die amerikanischen Geheimdienste in Deutschland tätig sind und inwieweit die deutschen Geheimdienste und frühere Bundesregierungen davon Kenntnis hatten. Des Weiteren fordert die FDP eine Ausweitung der Befugnisse des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Insbesondere sollte dieses mit einem Klagerecht gegen deutsche Geheimdienste ausgestattet werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass das Parlament umfassend über die Tätigkeit deutscher Geheimdienste (und evtl. Zusammenarbeit mit ausländischen Geheimdiensten) informiert ist- und im Zweifelsfall deren Rechtmäßigkeit durch ein Gericht prüfen lassen.
Beste Grüße
Juliane Hüttl