#malebenkurzdiefdpretten – Was ist geblieben von der Aufbruchsstimmung?

Der Caterer sorgte für Döner und Club Mate, Christian Lindner und die Delegierten sorgten für die Aufbruchsstimmung. Beim außerordentlichen Bundesparteitag im letzten Jahr war die Welt noch in Ordnung. Sicher, wir waren gerade in der APO gelandet, die Analysen der Redner zur Wahlniederlage waren schmerzhaft und wir wurden auf eine politische Dürrestrecke bis zur Bundestagswahl 2017 eingestellt. Die Ehrlichkeit der Debatten vermochte es aber, den Kampfesgeist in der Partei wiederzubeleben- die Inszenierung des Neustarts war gelungen.

Nun hat die FDP einen weiteren ernüchternden Wahlkampf hinter sich und so langsam dünkt uns, dass wir auf die Zeit als APO-Partei in keinster Weise vorbereitet sind. Während der Bundesvorstand eine Profilschärfung angekündigt hat, schwelt an der Parteibasis ein Richtungsstreit, der auch Ausdruck unserer Angst vor den kommenden Wahlen ist. Diese Angst entlädt sich mit zunehmender Häufigkeit in Vorwürfen an „die Parteiführung“. Dabei war deren Analyse zum Ergebnis der Europawahl überaus treffend- wir müssen unsere Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Bis dahin wird es noch ein langer Weg sein.

Abkehr vom politischen Klein-Klein

Mehr Demut im Auftreten der Partei wäre also durchaus angebracht. Manchmal scheint es jedoch so, als wähnten wir uns noch immer im Parlament. Wir kommentieren mit einiger Überheblichkeit die Politik der GroKo und inszenieren uns als die letzte Rettung vor einem verschwenderischen Staatsapparat.

In der Tat braucht es eine Partei wie die FDP, um dem Staat seine Grenzen aufzuzeigen. Noch glaubt uns allerdings keiner, dass wir das auch können. So richtig die Kritik an der GroKo auch sein mag, sie ist vermessen für eine Partei, die direkt aus der Regierungsverantwortung in die APO abgewählt wurde. Immerhin wurden wir abgewählt, weil wir unser Wahlprogramm nicht umgesetzt haben- und kritisieren nun andere dafür, dass sie genau das tun. So gewinnen wir unsere Glaubwürdigkeit nicht zurück.

Hinzu kommt, dass unsere Kritik verhallt zwischen der von Journalisten, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und den im Parlament vertretenen Oppositionsparteien- wir sind eben nicht die einzigen, die vor steigenden Staatsausgaben warnen. Umso weniger können wir erwarten, uns damit wieder ein politisches Alleinstellungsmerkmal zu erarbeiten.

Statt also im Klein-Klein der parlamentarischen Tagespolitik zu verharren, sollten wir uns den großen politischen Fragestellungen zuwenden. Ein wenig mehr Gelassenheit täte uns ganz gut. Immerhin haben wir nun etwas mehr als 3 Jahre Zeit, um das liberale Profil für die FDP zu schärfen- durchaus ein Vorteil gegenüber den im Parlament vertretenen Parteien.

Wider der Politikverdrossenheit

Interessanterweise hat der Bundesvorstand mit der Ausrichtung des letzten Bundesparteitages auf die Bereiche Parteireform, Kommunalpolitik und digitale Agenda bereits eine vielversprechende Richtung vorgegeben.

Die drei Bereiche sind deswegen so wichtig, weil sie die großen gesellschaftspolitischen Fragestellungen unserer Zeit anschneiden: Wie reagieren wir auf die zunehmende Politikverdrossenheit der Bevölkerung? Wie können Parteien eine größere Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an politischen Prozessen ermöglichen? Wie verändert sich unsere Gesellschaft durch den digitalen Wandel?

Eine der größten Aufgaben der Politik besteht derzeit darin, auf die Politikverdrossenheit in unserer Gesellschaft zu reagieren. Die Frustration unserer eigenen Basis spiegelt diese Politikverdrossenheit durchaus wider. Ein Ausweg aus der wachsenden Distanz zwischen Politik und Gesellschaft lässt sich nur dann finden, wenn ein Dialog aktiv angestrebt wird und die Parteien transparente Beteiligungsmöglichkeiten anbieten. Gerade auf kommunalpolitischer Ebene kann der direkte Kontakt mit den BürgerInnen effektiv und kosteneffizient hergestellt werden. Zusammen mit einer Parteireform, die Mitspracherechte auf allen Ebenen eröffnet, bietet sich uns die Chance, auf die Frustration der Bevölkerung bezüglich starrer und undurchsichtiger politischer Prozesse einzugehen. Wir könnten uns als Ansprechpartner der BürgerInnen anbieten und mit ihnen gemeinsam an politischen Lösungen für die kleinen und großen Probleme in unserem Land arbeiten. Und so wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen.

Zurück in die Zukunft mit einer digitalen Agenda

Dem Workshop zur digitalen Agenda auf dem Bundesparteitag ist außerdem eine Idee entsprungen, die für uns große Chancen bietet, den Wert einer liberalen Partei wieder deutlich herauszustellen. Nach der Europawahl wurde in der Social-Media-Plattform der FDP meine-freiheit.de eine Gruppe zur Erstellung einer digitalen Agenda gegründet. Die Gruppe steht allen Interessenten, mit und ohne Parteizugehörigkeit, zur Teilnahme offen (Stichwort: Bürgerbeteiligung) und wird vom Bundesfachausschuss Medien, Internet und Digitale Agenda geleitet. Das Konzept ist genial- in einem Multi-Stakeholder-Verfahren wird eine Agenda entwickelt, die fachübergreifend alle Aspekte der Digitalisierung beleuchtet. Genial ist das Konzept nicht deswegen, weil es noch kein anderer versucht hätte. Sondern weil wir uns in einer Wendezeit befinden, in der wir als liberale Partei die Weichen stellen müssen für eine politische Auseinandersetzung mit der Digitalisierung, die das Ziel verfolgt, dem Menschen neue Freiheiten zu eröffnen, statt ihn zu bevormunden.

Leider werden die Themen Netzpolitik und digitale Agenda gern zu politischen Nebenschauplätzen degradiert. Die Kritiker haben durchaus Recht: Derzeit lässt sich mit klassischer Netzpolitik (Vorratsdatenspeicherung, Datenschutz, Überwachungsstaat, Netzneutralität, Technikmonopole, u.v.m.) kaum politische Stimmung erzeugen.

Der digitale Wandel betrifft uns alle

Verkannt wird dabei allerdings, dass eine digitale Agenda nicht nur die Themen Bürgerrechte und Datenschutz abdeckt, sondern tatsächlich die Neubewertung klassischer politischer Positionen im Hinblick auf einen gesellschaftlichen Wandel beinhaltet.

So könnte es für die libertäre Bewegung innerhalb der Partei interessant sein, sich mit dem Aufkommen der von privater Hand eingeführten Kryptowährung Bitcoin zu beschäftigen sowie mit der kolportieren Beantragung einer Banklizenz durch Facebook. Noch weiß keiner so genau, welche Auswirkungen das auf unser klassisches Geldwährungssystem haben wird.

Wer sich als wirtschaftsliberal bezeichnet und den Mittelstand stärken möchte, müsste sich intensiv mit dem Aufkommen von Technikmonopolen bzw. -Oligopolen wie Google, Apple, Amazon, usw. und deren evtl. wettbewerbsverzerrender Marktmacht beschäftigen. Genauso liegt in der zunehmenden Automatisierung ein enormes Potenzial für das wirtschaftliche Wachstum in Europa.

Auch geopolitische Entwicklungen bleiben von der Digitalisierung nicht verschont. Denken wir nur an die Rolle von Twitter im arabischen Frühling. Letztes Jahr schockierte außerdem die Meldung, dass Google ein Datenzentrum auf einem Kreuzschiff vor der Küste San Franciscos errichtet hatte- das entpuppte sich zwar als Marketing Gag, trotzdem hat Google ein Patent auf schwimmende Datenzentren angemeldet. Wie sieht eigentlich die Rechtslage für Unternehmen und Kunden aus, wenn eines Tages schwimmende Datenzentren außerhalb der staatlichen Hoheitsgebiete operieren?

Interessant für Liberale sind auch der potenzielle Effizienzgewinn und die Kosteneinsparungen durch den Einsatz technischer Lösungen, sowohl im Verwaltungsapparat als auch in der Wirtschaft und im Privaten.

Und ja, es geht auch um Bürgerrechte- um die Beschränkung der staatlichen Macht, um Fragen des Datenschutzes und um die Verteidigung der Privatsphäre.

Mut zur digitalen Aufklärung

Die Kritiker verkennen ebenso, dass wir uns in einem Prozess der digitalen Aufklärung befinden. Auch die Grünen starteten ihr politisches Dasein einst mit einem Außenseiterthema- und sind heute als politische Kraft fest verankert. In der Politik muss man sich auch trauen, politische Debatten anzustoßen, neue Themen zu setzen, statt immer nur dem politischen Mainstream zu folgen. Viele Fragen, die unseren Umgang mit Technik sowie den Einfluss dieser auf unsere Freiheit, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung betreffen, sind längst nicht geklärt. Im Jahr 2017 könnten sie zu den entscheidenden Themen im Wahlkampf zählen.

Ich möchte daher gegen einen Neu-Neustart, gegen eine thematische Verengung und gegen die ewige Beschäftigung mit uns selbst plädieren. Die Partei hat die Arbeit an drei großen Themenblöcken begonnen. Diese bieten nicht nur inhaltliche Ansatzpunkte für alle liberalen Strömungen, sondern auch die scharfe Umgrenzung unseres Profils als liberale Partei. Das funktioniert aber nur, wenn wir alle mitziehen und diese Chance auch als solche begreifen. Es ist noch viel zu tun in der Parteireform, der stärkeren Zusammenarbeit mit den Bürgern auf kommunalpolitischer Ebene und der digitalen Agenda.

Juliane Hüttl

Juliane Hüttl ist Mitglied im Vorstand der FDP Reinickendorf und koordiniert dort die Social-Media-Aktivitäten des Bezirksverbandes. Sie ist Informatik-Studentin und als Software-Entwicklerin tätig.