Huch, Obama lauscht mit

Mr. Edward Snowden, “whistleblower” aus dem amerikanischen Geheimdienst NSA, hat der Welt einen Sommer und Herbst voll interessanter Erkenntnisse geschenkt, welche ein halbes Dutzend von ihm im Mai mit Dokumenten versorgter Medienpartner seither behutsam der staunenden Weltöffentlichkeit offenbaren. Unter Schlaglichtern zeitgenössischer Geheimdienstarbeit erregen vor allem umfassende Informationen zu Programmen milliardenfacher und teilweise flächendeckender Überwachung und Speicherung von Telekommunikation die Aufmerksamkeit. Solcherlei Massenüberwachung ist sowohl durch heimlichen Einbruch in Kommunikationsnetze wie durch rechtlich erzwungene Kooperation in den USA tätiger Telekommunikationsunternehmen dokumentiert; sie war auch gegen die Bevölkerung verbündeter Staaten gerichtet, auf der anderen Seite erfolgte sie, wie wir mittlerweile wissen, vielfach auch von Geheimdiensten solcher Staaten. Allgemein erscheint quer durch die freie Welt immer mehr ein Bild von Geheimdiensten, deren umfassende automatisierte Überwachung und Speicherung von Telekommunikation regelmäßig nur in der technischen Machbarkeit eine Grenze findet.

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Die Veröffentlichungen haben weltweit zu lebhaften und manchmal hysterischen Debatten geführt, die durch das häppchenweise Auftauchen neuer Informationen auch eine unterhaltsam dramaturgische Note erhalten. Jenseits apokalyptischer Bilder von einer vermeintlichen orwellschen Weltherrschaft der US-Regierung einerseits oder einer vermeintlichen von Russland oder China gesteuerten Kampagne zur Diskreditierung und Spaltung der freien Welt andererseits findet dabei auch sinnvoller Diskurs über die Rolle klandestiner Staatstätigkeit statt. Innerhalb der USA ist mittlerweile eine erfreulich vielfältige Debatte im Gange, ganz grundsätzlich zur Privatsphäre der Bürger gegenüber dem Staat, allgemein zu dem Konzept geheimdienstlicher Überwachung, konkret zu dem “Patriot Act” als Grundlage klandestiner Massenüberwachung oder pragmatischen Reformen der Geheimdienstarbeit. Auf globaler Ebene wird etwa eine grundsätzliche Lösung des Internet von amerikanischer Hegemonie diskutiert, in Europa wird das Geschäft amerikanischer IT-Unternehmen schwieriger, und die vielversprechende Zukunft des “cloud computing” wird wohl weniger amerikanisch sein als gedacht.

Will man das Geschehen sachgerecht bewerten, dann ist es sinnvoll, den Blick auf das Ganze zu richten. Unterstützung bietet dabei die Erfahrung mit der “Wikileaks”-Veröffentlichung eines gigantischen Fundus diplomatischer und militärischer Dokumente der USA aus dem Jahr 2010. Rückblickend kann man feststellen, dass eine Ordnung der Welt unter dem Wahren, Guten und Schönen dadurch nicht kontakariert sondern befördert wurde. Unzähligen Verschwörungstheorien wurde still und leise der Boden entzogen. Die Supermacht USA ist mit der Authentizität und Glaubwürdigkeit vertraulicher interner Kommunikation erkennbar geworden als ein aufgeklärter und rationaler Akteur, der in einer chaotischen Welt unter oft grotesken Umständen nüchterne Wege und Problemlösungen sucht. Ähnlich wird es im Rückblick auch diesmal sein. In der Massenüberwachung von Telekommunikation und im Umgang unter Partnern innerhalb der freien Welt müssen und werden manche Praktiken und Arrangements sowie das Verhältnis von Governance und Freiheitsrechten sich unter dem hellen Licht des Tages verändern und reifen. Das erneuerte Regime wird – anders als manche der derzeit öffentlich sezierten Praktiken und Arrangements – auf einem aufgeklärten Konsens der Öffentlichkeit in der freiheitlich-demokratischen Welt aufbauen und durch ihn legitimiert sein.

Interesse verdient dabei nicht zuletzt das erneuerte Selbstverständnis einer nicht bedingungslos staatsgläubigen, sondern als unabhängiger Anwalt der Zivilgesellschaft investigativen Presse, wie es sich in dem bemerkenswerten Interview des Snowden-Medienpartners Glenn Greenwald bei der BBC pointiert zeichnet. Interesse verdient die Entwicklung des Diskurses zu geheimdienstlicher Tätigkeit europäischer Staaten gegen einander, wo sich zum Beispiel Frankreich, derzeit empört über die USA, seit jeher mit frivoler Industriespionage zum Schaden deutscher Unternehmen einen unrühmlichen Namen macht. Und ganz besonderes Interesse verdient die Frage, wie sich die globale Rolle der USA entwickelt. Die freiheitliche Ordnung der Welt hängt in hohem Maße von dem Engagement ihrer Führungsmacht ab und wird das auch künftig tun. Deutschland und Europa sollten intensiv den transatlantischen Dialog zur Erneuerung der Arrangements in der Sicherheitspartnerschaft suchen – um aktiv mitzuwirken, dass die globalisierte Welt auch künftig und noch besser einen freiheitlich-demokratischen Weg geht. Solle dabei eine Dynamik entstehen, aus welcher Europa und konkret Deutschland ihre Rolle als Garantie- und Gestaltungsmachtmacht der liberalen Weltordnung künftig engagierter ausfüllen als bisher, dann müsste man Mr. Snowden tatsächlich ein Denkmal stiften.

Nils Augustin

Nils Augustin ist Vorsitzender des OV Hackescher Markt der FDP.