Positionen statt Pöstchen

Eine scharfe Trennlinie verläuft mitten durch die FDP. Das katastrophale Ergebnis der Bundestagswahl und die gleich danach einsetzenden Debatten über die Zukunft haben das in aller Schärfe noch einmal gezeigt. Zwei Lager stehen sich in der Partei gegenüber – und es ist fraglich, ob sie im Laufe der nächsten Jahre wieder zueinander finden werden.

Die Rede ist nicht von den Sozialliberalen, gern auch als Bürgerrechtsliberale gelabelt, und von den sogenannten Wirtschaftsliberalen. Diese Unterscheidung rührt mehr daher, dass man mit ihrer Hilfe persönliche Animositäten unterstreichen und sich von unsympathischen Parteifreunden abgrenzen kann. Denn weder wollen die einen den Sozialismus errichten, noch die anderen massenweise Menschen auf der Straße verhungern lassen. Beide haben ein gemeinsames Welt- und Menschenbild. Und beide sind der Überzeugung, dass die Freiheit der höchste Wert ist. Das unterscheidet sie von den Konservativen und Sozialisten, die im Habitus der Bevormundung zu wissen glauben, was gut für andere ist. Diese wollen Unfreiheit, weil sie – vielleicht aus hehrer Motivation – den Menschen etwas Gutes tun wollen. Liberale glauben, dass der Mensch selbst entscheiden kann, wie er sein Leben führt und was gut für ihn ist. Sie glauben, dass der Mensch fähig ist, Prioritäten zu setzen, Verantwortung zu übernehmen. Und dass der Staat nichts verloren hat im Privatbereich jedes Einzelnen.

Der tiefe Graben verläuft woanders. Über Jahrzehnte hinweg war die FDP – vor allem im Bund – eine Regierungspartei. Dabei hat sich ein unangenehmes Phänomen etabliert: Die Regierungsbeteiligung wurde zum Hauptziel. Inhalte wurden demgegenüber hintangestellt. In den letzten vier Jahren war das besonders offensichtlich. Aber bereits in den Jahrzehnten davor war es das Hauptziel vieler FDP-Politiker, ein Pöstchen zu bekommen. Dafür wurden dann schon auch gern mal im vorauseilenden Gehorsam Positionen geräumt, ehe sie überhaupt zur Verhandlung standen. Die Grünen quälten sich 1999 noch durch viele Debatten und Sonderparteitage, um ihre Haltung zum Kosovo-Einsatz zu klären. Die beiden Hauptprojekte der vergangenen Legislaturperiode – das EEG und die Euro-Rettung – hätten bei Liberalen ähnliche Reflexe auslösen müssen wie der NATO-Einsatz im Kosovo bei Grünen. Sie waren ordnungspolitisch Murks erster Klasse und werden die Bürger viele hunderte, wenn nicht gar tausende Milliarden Euro kosten. Von den demokratietheoretischen Problemen der Rettungsinstrumente ganz zu schweigen. Hätten nicht einige „Rebellen“ einen Mitgliederentscheid zur Euro-Rettung angezettelt, wäre selbst dieses Thema sang- und klanglos abgehandelt worden. Hauptsache, man bleibt in der Regierung. Hauptsache, die Minister und ihre Entourage behalten ihre Pöstchen. Auch die skandalöse (Nicht-)Behandlung der NSA-Affäre durch die Bundesregierung war kaum einem FDP-Politiker die Erwähnung wert. Konfliktvermeidung um jeden Preis ist die Maxime, die sich die Partei in Jahrzehnten der Regierungsbeteiligung zugelegt hat.

Der tiefe Graben verläuft zwischen denen, die persönliche Karriereinteressen verfolgen, und denen, die Prinzipien haben, die sie durchsetzen wollen. Der Graben verläuft zwischen denen, die gerne die Illusion aufrecht erhalten wollen, man könne etwas gestalten – und denen, die wissen, dass nicht Personen oder Pöstchen entscheidend sind für einen Politikwechsel, sondern Ideen.

Dass die FDP zunächst einmal ausfällt als Karriereoption, kann eine Chance für die Partei sein. Jetzt hat sie die Möglichkeit, wieder zu inhaltlicher Klarheit zurück zu finden. Dabei sollten sich diejenigen, die aus Überzeugung Politik machen, nicht bekämpfen, sondern verbünden. Beide – Sozial- und Wirtschaftsliberale – müssen begreifen, wer ihnen am meisten im Weg steht: die Pöstchenheischer, die Karrieristen, diejenigen, die sich eine Überzeugung nur zulegen, um beim Wähler Anklang zu finden – und sie deshalb wechseln wie die Unterhose.

Die FDP kann wieder zu einer gesellschaftlich einflussreichen Kraft heranwachsen, wenn sie sich auf Ideen konzentriert. Das Welt- und Menschenbild des Liberalismus ist ein ungeheuer attraktives Bild. Man darf es nur nicht verwässern, sondern muss es – in allen Bereichen – konsequent vertreten. Das braucht natürlich langen Atem. Und das braucht Rebellengeist. Aber nur indem man auf Positionen setzt statt auf Pöstchen, kann man dauerhaft Veränderungen durchführen. Das kann man nicht zuletzt am Erfolg der 68er sehen, die erst 30 Jahre nach ihrer Revolution an die Macht gekommen sind. Bis dahin aber war es ihnen gelungen, die Gesellschaft nachhaltig zu verändern – im Positiven wie im Negativen.

Stehen wir zusammen, um die Freiheit voranzubringen – und machen wir uns frei von denen, die unsere Überzeugungen nur dann teilen, wenn und solange wie es ihnen nutzt. Die Idee der Freiheit hat Besseres verdient.

Clemens Schneider ist Promotionsstipendiat der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.