Die Verteidigung von Afrin ist Deutschlands Interesse

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YPJ-Kämpferin Barin Kobane, gemalt von Laura Gréaume

Das Thema Erdogan wird zu Beginn des Jahres 2018 in Deutschland oft als erledigt angesehen. Der Prozess eines Beitritts der Türkei zur Europäischen Union ist klinisch tot, eine Erweiterung der Zollunion der EU mit der Türkei oder Visafreiheit für türkische Staatsbürger werden selbst im Koalitionsvertrag von Union und SPD ausgeschlossen. Nur vergleichsweise wenig beachtete Debatten über politische Häftlinge aus Deutschland in der Türkei, am prominentesten unter ihnen Deniz Yücel, oder ein paar Milliarden Euro an Flüchtlingshilfe halten den Namen Erdogan überhaupt noch in den deutschen Medien.

Es ist verständlich, dass sowohl die politische Klasse wie die allgemeine Öffentlichkeit in Deutschland jedes Theaters um den Despoten vom Bosporus überdrüssig sind. Dennoch ist es ein Fehler, den am 20. Januar 2018 begonnenen Angriffskrieg zu ignorieren, welchen die Türkei und von ihr bezahlte Jihadisten gegen die kurdisch besiedelte, „apoistisch“ regierte Region Afrin in Syrien führen. Dieser Krieg gegen jene zuvor friedliche Region im Bürgerkriegsland ist nicht nur ein Angriff auf unsere Werte im 21. Jahrhundert, er ist auch ein Angriff auf die Interessen der Bundesrepublik Deutschland.

(1) Die Rekrutierung, Bewaffnung und Bezahlung Zigtausender von Jihadisten durch die Türkei zu dem Zweck, sie als Sturmtruppen gegen die Verteidiger von Afrin einzusetzen, steht in fundamentalem Widerspruch zu den Interessen der freien Welt und aller offenen Gesellschaften. Dies gilt für das Organisieren von Militanz im Namen der totalitären politischen Ideologie des Islamismus an sich, unabhängig davon, inwieweit die betreffenden Jihadisten aus den Reihen des mittlerweile weitgehend zerschlagenen „Islamischen Staates“ entstammen, ob sie der „Al-Qaida“ oder der 1928 von Hitler-Fans gegründeten „Muslimbruderschaft“ nahestehen.

(2) Europa und Deutschland haben elementares Interesse an umfassenden Zivilisierungsprozessen im Nahen Osten, aus sicherheitspolitischen, migrationspolitischen und ökonomischen Gründen. Nur auf Grundlage von Zivilisierungsprozessen kann der Nahe Osten die Rolle eines Partners anstatt eines Krisenherdes einnehmen. Was auch immer man im Einzelnen von der apoistischen Leitideologie der Demokratischen Föderation Nordsyrien („Rojava“) und ihrer Region Afrin hält, der Fortschritt an aufgeklärter, emanzipierter säkularer Zivilisation gegenüber der türkisch-jihadistischen Alternative ist unbestreitbar. Diesen Fortschritt versucht in Afrin eine Türkei zurückzudrehen, deren Präsident den Feind als „die Atheisten“ identifiziert.

(3) Der Angriff auf Afrin affirmiert eine langjährige ultrarepressive Politik der Türkei gegen autochthone ethnische Minderheiten und gegen die Kurden im Besonderen. Erdogan hat erklärt, den allgemein auf 90 Prozent geschätzten Bevölkerungsanteil ethnisch kurdischer Menschen in der Region Afrin auf 35 Prozent reduzieren zu wollen. Eben dieses Verständnis von Politik als Projekt ethnischer Unterdrückung (mit der Türkei als insofern schlechtem Vorbild) aber ist Bremsklotz für Zivilisierungsprozesse im gesamten Nahen Osten wie auch Einfallstor für anti-freiheitliche Mächte wie Putins Russland, den Iran der Ayatollahs oder künftig auch China in die Region.

(4) Im Kontext des Bürgerkrieges in Syrien befeuert die Türkei die zuvor abflauende Gewalt neu und trägt sie in eine bislang unberührte Region, mit allen bekannten negativen Konsequenzen dieses Bürgerkrieges für Deutschland. Ferner konterkariert sie die internationale Koalition gegen den „Islamischen Staat“ sowie die mittlerweile ordnende Politik der USA, welche sich über die vergangenen Jahre erfreulicher Weise von dem verfehlten und anachronistischen Politikinstrument einer taktischen Unterstützung jihadistischer Gruppen verabschiedet hatten und zur Zusammenarbeit mit den Apoisten übergegangen waren.

Mit Recht hat Alexander Graf Lambsdorff den Angriff der Türkei auf Afrin als Verletzung des Völkerrechts qualifiziert, mit Recht hat Bijan Djir-Sarai der Türkei im Bundestag einen „Kampf gegen die Kurden mit allen Mitteln“ vorgeworfen. Der Türkei bietet sich mit der Zusammenarbeit der USA mit den Apoisten in Syrien eine historische Chance, ihre eigenen inneren und äußeren Konflikte auch mit Hilfe wirkungsvoller Vermittlung nachhaltig zu überwinden. Deutschland sollte darauf drängen, dass die türkische Regierung diesen Weg geht, anstatt in Afrin Menschen und Zivilisation zu töten.

Nils Augustin

Nils Augustin ist Vorsitzender des OV Hackescher Markt der FDP.